Erstellt von Perli am 18.06.2021

Berliner Weisse - Spüre dein Herz / VÖ: 18.06.2021 via Spirit of the Streets Records

Nach sechs Jahren endlich wieder neue Töne aus dem Hause Berliner Weisse. Und es scheint sich viel angesammelt zu haben, immerhin stehen 17 Stücke in den Startlöchern. Also laßt den Pfeffi kreisen und die Spiele beginnen. 


Tracklist: 

  1. Schelle aus Berlin 
  2. Flügel 
  3. Für Dich 
  4. S.H.A.B.P. 
  5. Dämonen 
  6. Wenn alle Stricke reißen 
  7. Selbst bewusst!? 
  8. Du & Ich 
  9. 0177 
  10. Miesepeter 
  11. Trauriges Schicksal 
  12. Ich denk an Dich 
  13. Scheiße 
  14. Unerträglich selbstverständlich 
  15. 20 Jahre 
  16. „Wir schaffen das“ 
  17. Gib nicht auf 

Musikalisch ungewohnt gemütlich startet die „Schelle aus Berlin, ist aber im Text dafür gewohnt herzlich. Und die Nummer entpuppt sich bei mehrmaligem Hören dann noch als Ohrwurm und endet so, wie man eine Schelle erwartet: ins Gesicht!

„...Spreiz deine
Flügel und flieg davon...“ empfiehlt uns der nächste Track. Und wenn man die Message einmal umdreht, fällt einem erstmal auf, was einen manchmal alles runterziehen kann, ohne dass man es so auf dem Schirm hat. Musikalisch sind wir in sicheren, bekannten BW-Gewässern unterwegs.

Die ganz besondere Liebe wird in „Für Dich thematisiert. Und wie tief und lang diese Hassliebe schon lodert, sieht man daran, dass die alte Dame Berlin mal eben geduzt wird. Man kann sich nicht aussuchen, wo man herkommt, aber man sucht sich aus, ob man in seiner Heimatstadt bleibt. Die Sehnsucht nach besseren alten Tagen und offen angesprochene Bedürfnisse, textlich wie in einer echten Beziehung…nur eben mit Liebe.

Nach den doch etwas entspannteren Songs geht es jetzt etwas flotter weiter: Mit schneidiger Doppeldeutigkeit wird bei „S.H.A.B.P.“  klar Stellung zum braunem Plaque bezogen. Und pädagogisch wertvoll wird natürlich auch die Begründung mitgeliefert: haltet eure Zähne sauber... oder doch Szene?  

Die Geburt der „Dämonen“ durften wir ja schon während des Internetkonzertes erleben. Da es auch die erste Auskopplung war und somit den Meisten bekannt sein dürfte, hier eine stichpunktartige Zusammenfassung: Brett- Kopfkino- Ohrwurm- Spiegel meiner selbst. Punkt. 

Stellt euch vor, ihr wollt ein Kind schlafen legen. Funfact: das Kind ist tatsächlich müde, weiß es aber besser... Am Ende schläft das Monster nach ein paar Minuten natürlich wie ein Stein, und ihr denkt: ich hab's dir doch gesagt, aber du wolltest es ja besser wissen... Mit genau solchen „Besserwissern“ in verschiedenen Themen befassen wir uns „Wenn alle Stricke reissen“. Nur nicht so sympathisch eben.  

Oh wie hab ich das Klavier vermisst. Dieses mal ohne Tiere aber dennoch mit einem spannenden Thema: Selbstwert bei Menschen. Klingt komisch, ist aber so. Coole Message- musikalisch irgendwo zwischen Klaviersolo, Reggae und am Ende Schlager. „Verdammt ich lieb mich!“, macht euch das „Selbst bewusst!?“ 

Nach diesem Zwischenspiel geht es wieder lockerflockig rockig nach vorn. Und es geht wieder um Liebe, wieder eine Besondere- nein die Besonderste! Nämlich die eines Vaters zu seinem Kind. (Ja, ihr Mamas seid auch cool.) Kann man schnulzig machen, kann man aber auch in BW- Manier machen und trotzdem mit den Zwergen teilen. „Du & Ich geiles Ding!!

Vale singt uns eine Ode auf die Handysucht. Ein Gerät von dem wir alle immer weniger loskommen und das oftmals für völlig überflüssigen Content. Und wir verlieren dafür das wahre Leben um uns rum! Wofür? Für „...eine Maschine, von der man sagt, das sie uns eigentlich diene...“ Ach ja, ruft mich an unter 0177.

Auch im nächsten Track geht es kritisch weiter. Aber „Miesepeter“ darf das auch, immerhin trifft er den Nagel in Kritik an Szene und Kult- Polizei ziemlich gut. Geht musikalisch gut nach vorn und der Refrain eignet sich übrigens auch als Ohrwurm für weitere Lebenslagen. 

Wir tauchen jetzt musikalisch mal in die Südsee ab. Und das ist gut, denn so kann man sich schön auf die Message kontrollieren, bevor am Ende dann die kurze Pogo- Explosion kommt: Lieb doch wenn du willst! Schade eigentlich, dass man das 2021 im Zusammenhang mit Kirche immernoch thematisieren muss, ein „Trauriges Schicksal“ (Spektakel).

In Erinnerungen an schöne Momente, Abschiede und geliebte Personen können inhaltlich ähnlich sein, aber emotional unterschiedlich.
„Ich denk an dich“ variiert ebenfalls musikalisch und holt uns dadurch in jeder Emotion zu dem Thema ab. 

Es geht „Scheiße“ weiter. Also nicht musikalisch, da ist alles in Ordnung, rhytmisches Mitsingen im Refrain eingeschlossen. Auch textlich ist alles super, Situationen die aus dem Ruder laufen und wo man absehen kann, dass es schief geht mit der typischen Prise Humor. Aber der Track heißt nun mal eben so.  

Manchmal sind Erwartungen „Unerträglich selbstverständlich“. Und dann sollte man was ändern sagen Vale und Toifel. Und sie haben Recht. Nur weil das Umfeld gewisse Muster gewohnt ist, heißt es nicht, dass man diese nicht ändern darf. 

Was soll ich zu „20 Jahre“ schreiben? Es ist unschwer zu erahnen, dass die Jungs hier eine musikalische Geburtstagstorte mampfen. Und, ohne dem Fazit vorzugreifen, die habt ihr euch auch verdient. Und stellvertretend sage ich: Alles Gute zum Geburtstag und Danke für 20 Jahre Sex, Spaß und Rock´n´Roll!

Das gefühlt kleinste Musical der Welt versteckt sich in „Wir schaffen das!“. Viele Probleme in kurzer Zeit und in einem Tempo, dass einem zwischendrin der Überblick verloren geht. Ich interpretiere es einfach mal als Spiegelung der Realität. Und dennoch finde ich die (Einzel)- Aussagen treffend und präzise. Welche ich meine? Hört euch „Wir schaffen das“- Das Musical selbst an.

Wir schliessen das Buch hier mit der Ballade „Gib nicht auf“. Verglichen mit den zwischenzeitlich eher kürzeren Tracks sticht es allein durch die Länge heraus. Und auch wenn wir bis hierher nicht wirklich oberflächlich oder albern waren, fühlt es sich noch ernsthafter und tiefgründiger an. Ein schöner und würdiger Abschluss. 


Fazit: 
Das Warten hat sich gelohnt.
Spüre dein Herz ist ein bunter Querschnitt aus 20 Jahren Berliner Weisse. Musikalisch ist hier alles vertreten was ein gutes BW- Album haben muss.
Aber auch textlich beweisen die vier Jungs (und die Gastsängerinnen), dass Reife nichts mit Wortwahl sondern mit Tiefgang zu tun hat. Sie sind älter, reifer und (noch) besser geworden.
Die Platte klingt nicht wie ihre anderen Alben und dennoch total nach Berliner Weisse par excellence.
Glaubst du mir nicht? Dann hol dir Platte, dreh sie auf und Spüre dein Herz. 

Hannes
AGF- RADIO