Erstellt von Perli am 05.09.2023
Artefuckt – Ethik / VÖ: 13.10.23 via Metalville Records (Rough Trade)
Der Sommer 2023 neigt sich allmählich dem Ende zu, und der Herbst steht bereits in den Startlöchern. Glücklicherweise sind wir inzwischen weit weg von Kontaktbeschränkungen und Co., Konzerte und Festivals finden wieder statt. Leider haben aber nicht alle Künstler oder Veranstalter die Auswirkungen der Pandemie „überlebt“. Doch die, die sich für´s Weitermachen entschieden haben, zeigen jetzt umso deutlicher, was in ihnen steckt. Neue Songs und Alben wurden geschrieben, aufgenommen und produziert - da kommt mit Sicherheit also noch viel spannendes Material auf uns zu.
So wird auch Artefuckt nach knapp drei Jahren ihr inzwischen viertes Studioalbum Ethik veröffentlichen. Wie der Name schon sagt wird sich hier mit ethischen Grundsätzen auseinandergesetzt. Jeder kommt einmal an den Punkt in seinem Leben, an denen er sich fragt: Was soll ich tun? Die Beantwortung ist mit Sicherheit nicht immer einfach. Die Fragen nach einem richtig oder falsch, erlaubt oder nicht, bringen womöglich einige Schwierigkeiten mit sich.
Bereits Anfang des Jahres 2023 begannen die Arbeiten am neuen Album, die leider vom plötzlichen und viel zu frühen Tod des Drummers Ulrich Cichy überschattet wurden. Nachdem die Band sich eine Pause nahm, um diesen schweren Verlust zu bewältigen, schrieb Sänger André Donay nach der Beisetzung den Song „Abendmahl“, der nicht nur eine Widmung für Uli darstellt, sondern auch Kraft geben sollte, die Arbeiten im Juni 2023 wieder aufzunehmen. Den Part der Drums wurde von Martin Winde eingespielt.
Das Ergebnis: ein Album, so wie es für Artefuckt typisch ist: voller Emotionen und Leben. Es verarbeitet, gibt Hoffnung, teilt aus… von allem etwas. Die Erwartungen sind auf jeden Fall hoch, ist doch das vorherige Album Gemini als Meilenstein des Deutschrocks bezeichnet worden. Kann dieses Album an die bisherigen anknüpfen? Lasst es uns zusammen herausfinden.
Bandbesetzung:
André Donay – Gesang/Gitarre
Sven Goldschmidt – Gitarre
Kevin Ricken – Bass
Tracklist:
01. Intro
02. Der erste Schritt
03. Lauf
04. Lasst uns
05. Kalifornien
06. Alles was war
07. Gegen den Rest
08. Lasst uns Part II
09. Abendmahl
10. Zurück ins Glück
11. Kosmos
12. An deiner Seite
13. Leck mich!
14. Wir waren jung
15. Himmelszelt
Bonus Track:
16. Stop War
Sanft und fast schon besinnlich startet dieses „Intro“. Es beginnt mit einem Rauschen, gefolgt von Glockenschlägen, bevor nach und nach die weiteren Instrumente einsetzen. Die sanften Klänge erinnern beinahe eine Art Symphonie. Der Spannungsbogen baut sich deutlich auf. Man kann kurz vor dem Ende bereits erahnen, dass gleich was passieren wird. Was es dann auch übergangslos tut.
Ohne weitere Umwege setzt der Song „Der erste Schritt“ ein. Und genauso wie der Name es schon sagt - er beschreibt den ersten Schritt auf die Bühne, nach dem man lange auf dieses berauschende Gefühl verzichten musste. Es ist deutlich anzumerken: Die Jungs haben richtig Bock, nach dieser Zwangspause neu durchzustarten! Die Zeit des Wartens ist vorbei - auf dass wieder alle gemeinsam aus vollen Kehlen singen! Der eingängige Refrain verspricht auf jeden Fall eine gute Stimmung.
Es geht direkt weiter mit einem Song, der bewusst macht, dass es immer wieder Situationen gibt, in denen man sich auch einmal selbst in den Arsch treten muss. Ängste und Zweifel gehören zum Leben dazu, doch haben sie nur die Macht, die man ihnen selbst gibt! Aufstehen und Weitermachen, sich an seine eigene Kraft erinnern - dazu ermutigt „Lauf“. Ein Motivationsschub pur!
Der nächste Titel „Lasst uns“ appelliert daran, den Moment im Hier und Jetzt bewusst zu (er)leben. Jeder kommt im Laufe des Lebens mal an den Punkt, an dem man sich fragt, was die Zukunft wohl für einen bereithält. Doch wer kennt schon die Antwort darauf? Was Morgen sein wird, hat man nicht immer in der Hand… aber man kann entscheiden, wie man seine Zeit bis dahin verbringt! In diesem Sinne: „...Lasst uns das Leben feiern...“ damit am Ende gilt „...Wir waren frei, wir haben gelebt...“!
Mit einem Gitarrensound, der an Tage am Strand, unter heißer Sonne und Palmen erinnert, startet der Song „Kalifornien“. Er beschreibt nicht nur dieses bereits entstandene Bild, sondern vielmehr das Empfinden, wenn ein lang ersehnter Traum endlich in Erfüllung geht! Ein Lebensgefühl geprägt von Freiheit und Glück! Wer bekommt da nicht Lust, seine Träume anzupacken?
Weiter geht es mit „Alles was war“. Ein Song, der sich wie der Titel vermuten lässt, mit vergangenen Zeiten, aber auch mit der Zukunft beschäftigt. Jeder von uns wurde in seinem Leben durch Erlebnisse und Erfahrungen geprägt. Wenn man die Augen schließt, betritt man die Welt der Erinnerungen. Eine jede davon ist verbunden mit positiven oder negativen Gefühlen. Die Frage ist, was man daraus macht. Entscheidet man sich, ausschließlich in der Vergangenheit zu verweilen und zurückzublicken, oder richtet man den Blick nach vorn?! Egal wie die Entscheidung auch ausfällt, am Ende geht das Leben weiter! Wie, das kann keiner zu 100% vorhersagen. Nur dass es so ist, ist und bleibt unumstritten.
Wer musste sich nicht schon gegen stumpfsinniges oder zum Teil sogar unwahres Gelaber zur Wehr setzen? Wie oft hatte man schon das Gefühl, gegen den berühmten Strom zu schwimmen? Ja, das ist manchmal verdammt schwer, doch wenn man genau hinsieht, wird man feststellen, dass diese Kämpfe gar nicht allein ausgefochten werden müssen. Es gibt sicher Menschen, die den Weg gemeinsam mit dir bestreiten! „Gegen den Rest“ macht Mut, seinen Weg weiter zu gehen, für seine Werte einzustehen und wenn nötig, den Mund aufzumachen! Egal wieviel Gegenwind man auch bekommt. Man kann auch mal ins Stolpern kommen, alles halb so schlimm, solange es auch nur einen Menschen gibt, der einem wieder aufhilft, lohnt es sich, nicht einzuknicken. Getreu dem Motto: „...Ich und du, du und ich gegen den Rest der Welt! Niemand hält uns auf!...“.
„Lasst uns Part II“ zeigt eine andere musikalische Seite. Durch die ruhigere Variante des Songs „Lasst uns“ kommt die kraftvolle Stimme besonders zur Geltung. Der Text wirkt dadurch umso eindrucksvoller und unterstreicht den Appell, nach vorn zu blicken, ohne darüber nachzudenken, welche Hindernisse sich einem in den Weg stellen könnten. Der letzte Refrain setzt sogar noch einen drauf, denn hier heißt es: „...Lasst uns die Welt verändern! Lasst uns für Gutes stehen! Am Ende unserer Tage, wollen wir wissen, wir waren frei, wir haben gelebt!...“. Da kann sich jeder selbst überlegen, welchen Beitrag man leisten kann, um die Welt ein klitzekleines bisschen besser zu machen!
„Abendmahl“ - mehr als nur ein Song! Eine Widmung an Uli, der viel zu früh die Bühne des Lebens verlassen hat! Der Text - eine Erinnerung an die gemeinsame Zeit! Er hatte noch vieles vor und strebte nach klaren Zielen. Ja, er fehlt… aber dennoch ist die Stimmung nicht sentimental, sondern eher von Dankbarkeit geprägt. Uli wird durch diesen Song noch einmal gefeiert und bleibt dadurch unvergessen! Ich persönlich freue mich schon, ihn mal live zu erleben - mit Sicherheit bleiben da einige Augen nicht trocken!
Mit „Zurück ins Glück“ wird aufgeräumt - und zwar mit den Schwarz-Weiß-Debatten der Corona-Pandemie. Eine Auflage jagte die nächste - am Ende blickte keiner mehr so richtig durch! Die Gesellschaft gespalten - der Finger immer auf die jeweils anderen gerichtet. Teile aus Pressekonferenzen eingängiger Politiker untermauern die Hetze, auf die in diesem Song angespielt wird. Nach drei Jahren Wahnsinn scheint es endlich soweit - Stück für Stück wird sich wieder Richtung Normalität gekämpft, ganz nach dem Motto: Wenn nicht jetzt, wann dann?
„Kosmos“ handelt von Begegnungen mit Menschen der anderen Art. Solche, die einem beim bloßen Gedanken den Puls nach oben treiben. Es kommt immer wieder vor, dass irgendwelche Leute meinen, ihre Meinung ist die absolut richtige und steht über allem. Dass sie damit oftmals meilenweit daneben liegen, ist ihnen entweder nicht klar oder sie wollen es nicht wahrhaben. Man könnte versuchen, dagegen zu halten, oder man spart sich die Energie, weist sie in die Schranken und gibt einen „Scheiß“ auf das Gelaber. Der Song ist auf jeden Fall eine gute Grundlage, um auszuteilen!
Wenn es kommt, dann meistens knüppeldick. Diesen Satz kennt bestimmt jeder. Und wie oft hat man dann das Gefühl, dass alles und jeder sich gegen einen verschworen hat? „An deiner Seite“ ist ein Mutmacher! Ja, das Leben hält nicht immer nur Sonnenstunden für einen parat und lässt einen auch mitunter (ver)zweifeln! Umso wichtiger ist es, den Blickwinkel zu verändern und sich auf die Dinge zu konzentrieren, die einem Kraft und Halt geben! In den allermeisten Fällen ist da ein Mensch, der einen nicht im Stich lässt, wenn die Welt sich abzuwenden scheint! Manchmal muss man eben einfach nur wieder daran erinnert werden, was so in einem steckt. Dann kommt die Stärke zurück und es wird leichter!
Jeder von uns hat wohl in seinem Leben Dinge getan und Entscheidungen getroffen, auf die man nicht stolz ist. Doch damit nicht genug, muss man sich auch noch mit Moralaposteln auseinandersetzen. Meistens allerdings sind diese zu feige, es einem direkt ins Gesicht zu sagen. „Leck mich!“ - eine Message an all diejenigen, die meinen etwas Besseres zu sein, auf den Fehlern anderer herumreiten und hinterm Rücken rumhetzen! Die Botschaft dahinter ist ziemlich klar und spricht wahrscheinlich nicht nur mir aus der Seele!
„Wir waren jung“ - ein Song der es schafft, die Leidenschaft und das Gefühl von Freiheit aus vergangen Tagen aufleben zu lassen! Der Text und der Rhythmus nehmen einen mit, lassen Zurückblicken und denken: Was war das das doch `ne geile Zeit! Dieses Feuer steckt nach wie vor in einem! Sicher ist man inzwischen etwas reifer, vielleicht sogar erwachsener, aber die Glut ist noch heiß und wartet nur darauf, entfacht zu werden!
Das Piano zu Beginn des Songs „Himmelszelt“ lässt bereits erahnen, dass jetzt eine emotionale Reise angetreten wird. Eine letzte Liebeserklärung an die eigene Mutter, wie sie schöner nicht sein könnte. Ehrlicherweise möchte ich gar nicht allzu viel darauf eingehen - der Text, die Stimme und die Melodie erzeugen ein Gefühl, dass sich nur schwer in Worte fassen lässt. Nur so viel sei gesagt: Ich hatte vom ersten bis zum letzten Ton Gänsehaut vom Scheitel bis zur Sohle!
Der Bonustrack „Stop war“ ist bereits 2022 im Rahmen des Most Wanted Peace Benifizfestivals auf dem dazugehörigen Sampler veröffentlicht worden. Diesmal auf Englisch, was im ersten Moment kurz aufhorchen lässt. Der Text ist dennoch gut verständlich. Der Song beschäftigt sich mit der Sinnlosigkeit des Krieges und damit, dass es eigentlich keine Gewinner geben kann! Leid, Tod, Trauer, Zerstörung - das sind die einzigen Resultate. Die einzige Lösung: Beenden des Wahnsinns! Worte, die wahrer nicht sein könnten!
Fazit:
Ich bin mit großen Erwartungen an dieses Album heran gegangen und kann sagen: sie wurden nicht nur erfüllt sondern übertroffen! Mehr als einmal hatte ich das Gefühl, mich in den Songs wieder zu finden. Es ist wie eine musikalische Achterbahnfahrt. Schnell, langsam, laut und leise - so wie das Leben! Für mich ein absolut gelungenes Meisterwerk, welches an die früheren Alben anknüpft und weitere Maßstäbe setzen wird. In der Vorankündigung wurde Ethik als das „bislang facettenreichste, modernste und frischeste Artefuckt Album beschrieben“. Und dem ist absolut nichts hinzuzufügen!
Wonne
AGF- RADIO Redaktion