Erstellt von Perli am 12.03.2025
Eisbrecher – Kaltfront / VÖ: 14.03.2025 via Sony Music Entertainment
Der Frühling ist langsam in Sicht und die Temperaturen gehen schleichend wieder nach oben. Doch am Horizont sieht man einen sich heftig nähernden Umschwung.
Am 14. März erreicht uns noch einmal eine gewaltige Kaltfront.
Diese bringt uns allerdings keine eisigen Temperaturen, sondern ein neues Album einer der Vorzeigebands der neuen deutschen Härte schlechthin. Eisbrecher melden sich nach einigen Veränderungen mit neuer Musik zurück. Mit Noel Pix ist einer der großen kreativen Köpfe aus der Band ausgetreten und damit kommt auch die Frage auf, wie die Band jetzt klingen wird. Zudem hat Sänger Alex Wesselsky angekündigt, dass durch diesen Ausstieg das Album für ihn sehr persönlich wird. Was diese Vorzeichen zu bedeuten haben und wie sich all das auf den Sound auswirkt, erfahrt ihr nachfolgend.
Tracklist:
- Minus 90 Grad
- Everything is Wunderbar
- Kaltfront
- Auf die Zunge feat. Schattenmann
- Waffen Waffen Waffen
- Dein Herz
- Zeitgeist feat. Joachim Witt
- Das neue Normal
- Die Hoffnung stirbt zuletzt feat. Sotiria
- Einzelgänger
- Toi Toi Toi
- Tränen lügen nicht
- Satt
- Festung der Einsamkeit
- Auf kalt
Eingeläutet wird die kommende Kaltfront von einem aufgefangenen Funkspruch in/ aus klirrender Kälte. Die Geräuschkulisse birgt ein sehr düsteres Bild und mit dem Titel „Minus 90 Grad“ wird das gut abgerundet. „...Ist da irgendjemand?...“ schallt es zum Ende durch das statische Rauschen.
Die fast schon gruselige Stimmung wird jedoch ganz schnell weg gepustet wenn die ersten Klänge von „Everything is wunderbar“ ins Trommelfell geschleudert werden. Schnell wird klar, dass hier die alten Werte von Eisbrecher immer noch groß geschrieben und an der Grundrezeptur nichts verändert wurde. Laut und brachial geht es zur Sache. Keine Spur von Trägheit oder gar eingerostet sein.
Dieser Song sowie die beiden folgenden „Kaltfront“ und „Auf die Zunge“ feat. Schattenmann wurden bereits als Singles vorab veröffentlicht und machten direkt klar, in welche Richtung dieses Album gehen möchte und wird.
Die ersten noch unbekannten Klänge anschließend haben es auch gleich in sich, denn mit „Waffen Waffen Waffen“ liefern uns die Vollblutmusiker ein Stück, welches nicht nur in die heutige Zeit passt wie die Faust auf´s Auge, sondern auch nur so vor zynischer Satire trotzt. Eine Anspielung jagt hier die nächste und man verliert schnell den Überblick, wo die Satire aufhört und die traurige Realität beginnt. Rein vom Text her, ist diese Nummer für mich eine der stärksten vom ganzen Album.
Ist es Liebe oder Besessenheit? Das ist die Frage in „Dein Herz“. Je weiter der Text voran zieht, umso fragwürdiger werden die Motive dieses hier beschriebenen Wesens. Getragen wird das Ganze von einem treibenden Gewandt harten Riffs, die die aufkommende düstere Stimmung wieder versuchen im Keim zu ersticken. Im Refrain schließlich wird dieses Wechselbad der Gefühle hingegen vollends auf die Spitze getrieben. Wenn Alex diesen schnellen Wechsel zwischen seinem relativ hellen Gesang und seiner tiefen Gruselstimme anbringt, weiß man definitiv nicht, welche Seite hier die Oberhand gewinnen wird.
Auf eine düstere und beinah schon perfide Weise wird nachfolgend wieder mal die Gesellschaft reflektiert. „Zeitgeist“ feat. Joachim Witt wirbelt viele der aktuellen jugendlichen Ausdrücke mit einer Prise eisbrecherischer Lyrik durcheinander. Das Ergebnis führt einem ziemlich gut vor Augen, wie hohl diese Phrasen sind und dass der hier so angepriesene Zeitgeist ebenso viel Wert ist. Man könnte auch sagen: viel Lärm um nichts.
„Das neue Normal“ ist aus der Perspektive eines gesellschaftlichen Außenseiters erzählt. Die Welt ist im Wandel und man steht hier bildlich gesprochen mit dem Rücken zur Wand, weil man einfach nicht mitkommt. Wenn man das im Song obendrein ertönende Marschieren noch mit bedenkt, könnte man schon erahnen, in welche Richtung diese Botschaft gehen wird. Zumindest wenn man so manche politische Tendenzen heutzutage beobachtet. Das regt subtil aber doch wirkungsvoll zum Nachdenken an.
Man könnte meinen, wenn man den Titel von „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ liest, dass hier ein kleiner Schimmer an Hoffnung am Horizont zu erkennen sein könnte. Doch auch in diesem Feature mit Sotiria sind die Gefühle sehr gemischt. Es ist der Kampf zwischen der Hoffnung etwas zu retten und dem kraftlosen Untergang. Scheitert man weiter gemeinsam voran oder siegt die einsame Resignation?! Die Antwort darauf kann sich wohl nur jeder allein geben.
Mit „Einzelgänger“ kommt einer meiner persönlichen Favoriten. Dieses absolut krachende Riff gleich Beginn zog mich so richtig in seinen Bann. Auch wenn die Geschichte etwas düster sein mag, ist die Art und Weise wie sie überbracht wird überragend. Erzählt wird aus der Sichtweise eines Aussteigers, der einfach auf nichts und niemanden mehr Bock hat. Nach den Episoden aus den voran gegangenen Songs könnte man sagen, dass hier die logische Konsequenz kommt.
Schlagartig ändert sich dann jedoch die Stimmungslage. Statt Trübsal und Düsterniss kommt nun die geballte Ladung Motivation. „Toi Toi Toi“ packt dich am Kragen, zieht dich aus dem Dreck und wirft dich zurück in den Kampf des Lebens! Wen das nicht bockt, dem ist echt nicht mehr zu helfen.
Mit „Tränen lügen nicht“ ändert sich erneut schlagartig die Gemütslage und es folgt eine Neuauflage von Michel Holms Klassiker aus dem Jahre 1974. Vorgetragen nur von Alex, welcher wiederum von einem Klavier begleitet wird, fängt es die Stimmung des Originals sehr gut ein und bringt es in die heutige Zeit.
Mit „Satt“ folgt nun der Punkt an dem alles ein Ende nehmen muss. Der ganze Wahnsinn, der täglich über alle Kanäle auf einen einprasselt, wird irgendwann einfach zu viel. Da hilft nur, den Stecker ziehen und endlich abschalten. Allerdings nicht euer musikalisches Abspielgerät. Denn wer das macht, verpasst hier eine besondere Mischung aus der gewohnten Härte gepaart mit einer Prise Ska. Im Refrain und auch an einigen anderen Stellen im Song wird alles mit Bläsern untermalt, die diese eigentlich trübsinnige Nummer in einen Partysong verwandeln, zudem man sogar fast schon das Tanzbein schwingen könnte.
Im offiziell letzten Song könnte man nun sagen erleben wir das Ergebnis aus all den unterschwelligen Botschaften, die hier auf uns eingeprasselt sind. Erschöpft und geistig ermattet zieht sich unser Protagonist hier in seine „Festung der Einsamkeit“ zurück und schließt die ganze Welt einfach aus.
Ein letztes Aufbäumen unter dem gewohnt krachenden Sound bevor der Longplayer mit seinem Outro „Auf kalt“ zu Ende geht. Hier wird jedoch ein weiteres Bild suggeriert, welches das neue Album noch einmal in einem anderen Bild erscheinen lässt, da man am Schluss durch das Knacken des Eises einen Pulsmonitor laufen hört. Da stellt sich die letzte Frage, war das alles nur ein Spiegelbild unserer kaputten Gesellschaft oder erlebten wir hier den fieberhaften Alptraum eines Komapatienten?! Diese Frage kann wohl auch nur jeder für sich beantworten.
Fazit:
Es ist ganz einfach zu sagen: lasst euch von dieser Kaltfront überrollen und gebt euch ihr ganz hin! Ein Album, welches euch mit dem typisch eisbrecherischem Sound aus den Socken hauen wird und euch auch nach manchen Geschichten nachdenklich zurück lassen wird.
Selbst ich muss zugeben, an mancher Stelle vielleicht nicht den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben oder am Kern der Geschichte etwas vorbeigeschlittert zu sein, doch macht genau das nicht einen guten Song oder ein gutes Album erst aus?!
Dass man selbst nach mehrmaligem Hören noch immer neue Nuancen an den Liedern feststellen und alles noch einmal neu überdenken kann? Für Grübler und Liebhaber der harten Musik wird hier jedenfalls einiges geboten. Mit Kaltfront veröffentlichen Eisbrecher für mich persönlich einen lupenreinen Kandidaten für das Album des Jahres 2025. Und trotz aller Bedenken im Vorfeld liefern Alex und seine Mannen hier was ab, dass ganz klar in die Top 3 der Bandgeschichte einziehen wird. Wer daran vorbei will, muss schon wirklich ordentlich was auf die Beine stellen. Daher ist nur passend wenn ich dieses Review mit ein Zitat beende, welches das alles auf den Punk bringt.
„... Nichts ist mehr so, wie´s immer war, Hauptsache everything is wunderbar!
Hier kommt die Zukunft und wir sind da, Hauptsache everything is wunderbar!...“
Onkel Alex
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